• Stefan Kiechle SJ
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Was ist das ignatianische magis?

Die inhaltliche Ausrichtung des Jesuitenordens gliedert sich in vier sogenannten Präferenzen. Was genau dies bedeutet und welche Inhalte dies sind, stellen wir ihnen hier im Laufe des Jahres Präferenz für Präferenz vor. Es soll gezeigt werden, was im Allgemeinen die Präferenzen heißen und wie der Orden sie mit Leben füllt. Die erste betrifft maßgeblich die Spiritualität des Ordens und wie die ignatianische Spiritualität den Menschen hilft, zu Gott zu finden. Wenn es um eben jene ignatianische Spiritualität geht, spricht man auch häufig vom „magis“, vom „ignatianischen mehr“. Was zunächst nach Leistungsdünkel klingt, hat eine tiefe spirituelle Dimension, beschreibt P. Stefan Kiechle dieses Kernstück jesuitischer Spiritualität.

Das ignatianische Magis

In den Schriften des Gründers der Jesuiten, des heiligen Ignatius von Loyola (1491 bis 1556) gibt es sehr oft Steigerungsformen: „Alles zur größeren Ehre Gottes“, „Ich bitte darum, Christus mehr zu lieben und ihm mehr zu dienen“, „den Willen Gottes immer tiefer zu erkennen“ usw. Früh ist das den Lesern schon aufgefallen, und man hat sich gefragt, was dieses „mehr“, „höher“, „größer“ bedeutet.

Heißt es, dass man immer mehr haben und erreichen will? Jesuiten gelten ja manchmal als strebsam und fleißig, als effizient und elitär, ja auch als karriereorientiert und ehrgeizig? Sie können viel und wollen immer noch höher hinaus, mit allen Mitteln. Liegt in der ignatianischen Spiritualität da ein Antrieb nach oben, zur unendlichen Steigerung an Leistung, an Effizienz, vielleicht auch an Wichtigkeit und Macht? Das berührt durchaus einige Klischees über die Jesuiten: Sie sind die geheime Streitmacht des Papstes, eine Art religiöse Mafia, die die Welteroberung anstrebt; dazu – diese jesuitische Maxime würde auch noch passen – heiligt dann der Zweck die Mittel. Und noch eine Beobachtung: Dieses ständige Steigern macht ja Stress – richtig, Jesuiten wirken immer sehr beschäftigt und oft etwas gestresst. Kann es das sein?

Nun sind Klischees ja unausrottbar, und sie haben fast immer einen kleinen wahren Kern. Hier liegt aber wohl ein falsch verstandenes „Mehr“ (lat. magis) zugrunde. Hat das auch mancher Jesuit falsch verstanden? Wie ist es jedoch richtig zu verstehen?

Bei Ignatius geht es vor allem um Gott: Er ist „größer“, d.h. nicht einfach groß wie wir, auch nicht der Größte – denn so bliebe er ja in irdischen Vergleichen stecken. Nein, er ist größer, d.h. er sprengt irdische Kategorien von Größe, er ist immer nochmals viel größer und vor allem anders größer, als wir jemals ahnen, denken und hoffen können. „Größer“ ist eine nach oben offene unendliche Skala, und wir können nur staunend von unserer Kleinheit aus hinaufschauen. Die Steigerung ist nicht quantitativ, sondern meint eine andere, eine unvergleichbare und unbegreifbare Qualität Gottes. Dieser größere Gott hat uns geschaffen, er führt uns und rettet uns, er nimmt unsere Anbetung und Verehrung (die „größere Ehre“) entgegen, er heiligt und erwartet uns.

Unser irdisches, menschliches Mehr meint dann ebenfalls nicht einfach eine quantitative Steigerung, auch wenn wir ja lieber alles in Zahlen und als Leistung messen wollen. Es meint eher eine Qualität: Im größeren Dienst nehmen wir eine neue Herausforderung an; diese kommt auf uns zu, wir nehmen sie frei an, lassen uns einbinden und fordern. Die Intensität der Beziehung wächst, das innere Erleben, die Tiefe der Wahrnehmung, auch die Freude und die Hingabe, der Friede und das Ja zum Leben. Vielleicht müssen wir manchmal weniger tun; um dieses Mehr an Güte zu erreichen, brauchen wir weniger Breite – und also weniger Stress –, um mehr Tiefe zu bekommen.

Deutlich wird dabei, dass nicht wir durch unsere Anstrengung die Steigerung machen, sondern dass ein Anderer wirkt. Das wirkliche Mehr ist das Mehr Gottes: seine Gnade, die an uns und in uns und durch uns an anderen wirkt. Gott führt uns hinaus ins Weite, er schenkt neue Qualitäten – wir dürfen sie dankbar annehmen. Solches zu erfahren, gehört zum Schönsten, was das Leben uns bereithält.

Autor: Stefan Kiechle SJ

Pater Stefan Kiechle SJ ist 1982 in den Jesuitenorden eingetreten und wurde 1989 zum Priester geweiht. Er war von 1998 bis 2007 Novizenmeister und hat in verschiedenen Aufgaben in der Hochschulseelsorge und Exerzitienbegleitung gearbeitet. Von 2010 bis 2017 war er Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten. Er ist Delegat für Ignatianische Spiritualität und Chefredakteur der Kulturzeitschrift "Stimmen der Zeit".

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