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Intellektuell

William Shakespeare lässt seinen Julius Caesar an einer Stelle den wunderbaren Ausruf machen: „Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein, die Nachts gut schlafen. Der Cassius dort hat einen hohlen Blick. Er denkt zu viel: Die Leute sind gefährlich!“ Leute, die zu viel denken und deshalb gefährlich sein können, nennt man nicht selten Intellektuelle. In der Regel versteht man unter ihnen Personen, die speziell in den Geistes-, Kultur, oder Kunstwissenschaften ausgebildet wurden und deren Verhalten (übermäßig?) vom Verstand bestimmt ist. Aber wo ist dann das Problem?

Der deutsche Philosoph Georg W. F. Hegel beschreibt das Problem folgendermaßen: Die Verstandeskraft ist eben nicht immer ganz unschuldig. Als „Tätigkeit des Scheidens“ ist sie für ihn eine „absolute Macht“ der Auflösung bestehender Begründungen von dem, was wir Fakten und Tatsachen nennen. Sie, die Verstandeskraft, ist regelrecht absolut, da sie überall Löcher in die Grundüberzeugungen von Menschen schlagen und zeigen kann, dass herrschende Begründungen falsch sind. Das mag aus der Perspektive anderer Menschen eventuell ein Problem werden.

So oder so: Ignatius wusste um die Werte intellektueller Ausbildung und Präzisierung von Verstandeskraft, denn der arme hat sich tatsächlich noch im 33. Lebensjahr dazu durchgerungen, eine zehnjährige Ausbildung zu beginnen. Unter der Rücksicht, dass ein zu erwartendes Durchschnittsalter im 16. Jahrhundert bei ca. 45 Jahren lag, muss man sich ihn also als einen uralten Seniorenstudenten vorstellen. Aber Ignatius sah diesen Weg als unausweichlich an und auch in den Grundlagentexten des Ordens wird die Bedeutung der Ausbildung zur Intellektualität immer wieder betont. Sie prägt bis heute die sogenannten „Scholastiker“ (Jesuiten in Ausbildung), und wenn man auf die Ausbildungszeit der Jesuiten, die meist über zehn Jahre dauert, schaut, stellt sich die Frage: Warum braucht es manchmal eine so lange Bildung? Man muss schließlich kein Magister oder Doktor der Philosophie sein, um vom Evangelium zu berichten. Das ist wahr, aber Bildung schadet natürlich nicht dabei und sie hat einen intrinsischen, d.h. nicht von Außenmaßstäbe bestimmten Selbstwert.

Generell, und zugegebenermaßen nicht sehr originell, kann man Intellektualität mit der Fähigkeit beschreiben, eine möglichst hohe Auflösung von Fakten zu bekommen. Man kann sich die Rede von „Auflösung“ wie ein Puzzle vorstellen. Puzzle für Kleinkinder bestehen aus fünf bis zehn Teilen und die Motive darauf sind grob und klobig. Puzzle mit mehr Teilen bilden komplexere Motive ab. Und darauf zielt Bildung: auf die Tiefenschärfe von Zusammenhängen. Ignatius sah das als entscheidend in der Fähigkeit zur „Unterscheidung der Geister“, d.h. der Beurteilungskraft von Tatsachen. Boulevard-Zeitungen bleiben in der Regel auf der Ebene eines Kinder-Puzzles. Menschen sollten jedoch in der Regel nach mehr Begründungskraft streben, um die Tiefenschichten der Schöpfung tatsächlich mehr genießen zu können. Denn in allem, was wir erkennen, bleibt immer ein Rest, den wir nicht erkennen. Oder etwas philosophischer gesagt: Die Wirklichkeit ist immer kleiner als die Menge ihrer Teile. Und Gott steht oftmals für die Ebene dieser Details der Wirklichkeit. Aus den bisher genannten Gründen machen viele Jesuiten nach Philosophie und Theologie noch zusätzlich eine Spezialisierung, sei es in Soziologie, Psychologie oder, etwas exotischer, in physikalischer Astronomie. Der Orden versucht so ein breites Spektrum von Kompetenzen abzudecken.

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