• P. Michael Bordt SJ bei einer Vorlesung in der Hochschule für Philosophie in München.
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Leadership-Algorithmus & Digitalisierung

Michael Bordt ist Philosophieprofessor und Jesuit – und er berät Topmanager zu Leadership im digitalen Zeitalter. Ein Interview über Innovationsgeist, Selbstreflektion und den Umgang mit ständiger Unsicherheit in einem Verlagsspezial der Frankfurter Allgemeinen.

Herr Bordt, die digitale Revolution fordert ein neues Verständnis von Unternehmensführung. Wie sieht diese aus?

Wer heute ein großes Unternehmen führt, muss mehr als nur ein Manager sein. Es ist nicht damit getan, langfristig Ziele zu setzen und Prozesse zu definieren, wie sie erreicht werden können. Eine Führungspersönlichkeit muss dazu in der Lage sein, mit Risiken umzugehen – und trotz aller Unsicherheiten Entscheidungen zu treffen. Somit sind auch in Konzernen Fähigkeiten gefragt, die viel stärker als bisher unternehmerischer Natur sind.

Ein Beispiel, bitte.

Nehmen wir etwa die Automobilbranche: Früher war den Beteiligten klar, dass alle paar Jahre ein neues Modell auf den Markt gebracht werden muss. Heute stellt die Digitalisierung in sehr vielen Branchen die Geschäftsmodelle völlig auf den Kopf. Alte Märkte brechen zusammen, Neues entsteht – und das lässt sich nicht mehr planen.

Ist denn dieser Umstand den Unternehmen überhaupt schon bewusst?

Was viele Unternehmen derzeit zweifelsohne spüren, ist eine wachsende Unsicherheit. Ob zum Beispiel das Geschäftsmodell noch trägt. Ob auch in Zukunft noch auf dieselbe Art und Weise das Geld verdient werden kann. Ob sich Managementprozesse künftig nicht fehlerfreier und kostengünstiger durch Künstliche Intelligenz abbilden lassen.

Bei der Beratung von Topmanagern setzen Sie dennoch auf jahrhundertealte Methoden und Übungen des Jesuitenordens. Sind diese nicht längst überholt?

Nein, keinesfalls. Vor 30 oder 40 Jahren hätten die Methoden nicht gepasst, weil es damals vor allem um höhere Effizienz in sonst gleichbleibenden Strukturen ging. Dazu haben wir nichts zu sagen. Heute aber sind die Methoden aktueller denn je. Schließlich geht es darum, sich in einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Umgebung – der sogenannten VUCA-Welt – zurechtzufinden. In solch einem Umfeld zu arbeiten hinterlässt Spuren in uns und beeinflusst unsere Persönlichkeit. Dem Standhalten und Agieren kann nur, wer über eine gefestigte Persönlichkeit verfügt. Da setzen wir mit unserer Arbeit an. Dazu gehört zum Beispiel, dass man in der Lage ist, sich Antworten auf die großen Lebensfragen zu geben: Warum lebe ich hier auf Erden? Warum tue ich das, was ich tue? Wer diese Fragen für sich beantworten kann, hat den nötigen Fokus, um sich in der VUCA-Welt erfolgreich zu bewegen.

Das hört sich so an, als hätten traditionelle Führungsansätze ausgedient.

So drastisch würde ich es nicht formulieren. Es gibt natürlich Elemente, die auch künftig im Leadership essentiell bleiben – Kommunikation zum Beispiel. Aber was sich grundlegend geändert hat, ist die Art und Weise der Entscheidungsfindung. Ein linearer Entscheidungsprozess, bei dem man sich auf irgendwelche gelernten Managementtools verlassen kann, ist undenkbar geworden.

Wer eignet sich also zum Digital Leader?

Wer mit sich selbst im Reinen ist. Und über ein hohes Maß an Selbstreflektion verfügt. Persönlichkeiten, die dadurch eine gesunde Distanz zu den Rollen einnehmen, die sie innerhalb eines Unternehmens besetzen, haben es deutlich leichter, die neuen Leadership-Aufgaben anzunehmen und auszufüllen. Denn mit zunehmender Authentizität eines Menschen wächst auch seine Rollensouveränität.

Wie würden Sie unseren generellen Zustand beschreiben: Sind wir ständig überreizt?

Das Gefühl, in ständiger Zeitnot zu sein, ist nicht neu. Das gab es auch schon vor den ganzen digitalen Devices. Heute aber buhlen viel mehr Dinge um die Aufmerksamkeit eines Einzelnen. Das Handy vibriert in der Tasche, und sofort bin ich abgelenkt – auch wenn ich mich eigentlich gerade in einem Gespräch befinde. Die Krux ist es, trotz dieser vielen Ablenkungen, Herr meiner eigenen Entscheidungen zu bleiben.

Wie schafft man sich die zeitlichen Kapazitäten für die tatsächliche Führungsarbeit?

Das ist nicht so sehr eine Frage von Zeitmanagement. Auch das Wort „Entschleunigung“ ist gerade in aller Munde, was ich albern finde. Es geht doch vielmehr darum zu beschleunigen – aber auf eine gesunde Art und Weise. Ich muss als Leader eine gewisse Haltung einnehmen, muss wach und präsent sein. Und ein Gespür dafür entwickeln, was das äußere Umfeld in mir auslöst, damit die äußere VUCA-Welt nicht zur inneren VUCA-Welt wird.

Die Digitalisierung gibt uns viele analytische Systeme an die Hand, um jedes noch so kleine Detail auszuleuchten. Wie lässt sich bei der Entscheidungsfindung überhaupt definieren, was relevant ist?

Das ist eine gute Frage. Die schiere Flut an Daten alleine nützt ja keinem etwas, man muss schon wissen, zu welcher Fragestellung man ein Ergebnis haben will. Dafür braucht es eine sehr gute Intuition für das Geschäftsmodell. Das entwickelt sich oft erst nach jahrelanger Beschäftigung mit der Materie. Und es braucht bei der Entscheidungsfindung den Mut, Fehler zu machen. Das ist ein Aspekt des Kulturwandels, der sich übrigens so langsam auch in Deutschland durchsetzt.

Wie wichtig ist das Thema Innovationsgeist in Zeiten ständiger Transformation?

Der Mut zu Innovation spielt definitiv eine große Rolle – aber dieser Aspekt wird nicht für alle Unternehmen der Schlüssel zum Erfolg sein. Vielleicht mag es je nach Branche und Unternehmen richtig sein, am bisher eingeschlagenen Weg festzuhalten und sich von den äußeren Volatilitäten nicht beeindrucken zu lassen. Für andere wiederum könnte es besser sein, sich extrem flexibel aufzustellen und etwa zu überprüfen, wie sich Startups integrieren lassen. Aber nur hip und innovativ sein zu wollen, weil es nun alle sind, kann nicht des Rätsels Lösung sein.

Wie sieht das Selbstverständnis der jüngeren Managergeneration aus? Erkennen Sie hier einen Unterschied?

Nein, es geht weniger um das Alter als vielmehr darum, was für einen Charakterzug man hat und wo die Menschen ihre Arbeitserfahrungen gesammelt haben. Ein junger Leader, der ein starkes Sicherheitsbedürfnis hat, kann qua seiner Prägungen trotzdem traditionell konzernmäßig ticken. Bei Startups hingegen, zu denen sich freiheitsliebende und gestaltungsfreudige Menschen hingezogen fühlen, steht am Anfang eine oft sehr gute Idee. Die Schwierigkeit zeigt sich dann darin, das Startup-Modell zu skalieren und tragfähige Unternehmensstrukturen zu etablieren. Und bei Familienunternehmen kommt oftmals eine persönlichere Bindung hinzu, eine oft leichtere Zugänglichkeit der Führungsetage – ohne aber die Unruhe von Startups mitzubringen. Das finden junge Manager mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Beziehungen attraktiv.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Braucht es in einer hochgradig analytischen Businesswelt überhaupt noch Menschen, um Entscheidungen zu treffen?

Ja, selbstverständlich! Künstliche Intelligenz wird für uns zu einem immer wichtigeren Werkzeug und kann viele Managementaufgaben ersetzen – aber wenn es um Unternehmertum und Führung geht, trifft am Ende immer ein Mensch die Entscheidung. Einen Leadership-Algorithmus wird es nie geben.

Interview: Christina Lynn Dier

 

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