1. Ignacio Ellacuría SJ (1930-1989) ist einer der herausragenden lateinamerikanischen Intellektuellen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Philosoph, Theologe und Universitätsrektor wollte er einen Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung leisten. Dabei ging es ihm um die Vermittlung zwischen göttlicher Transzendenz und menschlicher Geschichte, zwischen christlichem Heil und geschichtlicher Befreiung in ihrer sozialen und politischen Dimension.
2. Im Zentrum des Lebens und Denkens Ellacurías stand die Option für die Armen und die wechselseitige Verwiesenheit von Glauben und Gerechtigkeit. Sein Ziel war die Verkündigung und wachsende Verwirklichung des Reiches Gottes in der Geschichte. Dies hat ihn, so wie schon Jesus von Nazareth, in einen tödlichen Konflikt mit den Mächtigen gebracht, die durch eine Veränderung der Verhältnisse ihre Interessen bedroht sahen. Ellacuría hat dafür mit seinem Leben bezahlt.
3. Ellacuría war ein Wegbereiter der 32. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu (1974/75), die die Sendung der Jesuiten so aktualisierte: „Was heißt Jesuit sein heute? Sich unter dem Banner des Kreuzes im entscheidenden Kampf unserer Zeit einsetzen: im Kampf für den Glauben, der den Kampf für die Gerechtigkeit mit einschließt. Wir werden uns nicht für die Förderung der Gerechtigkeit einsetzen, ohne einen Preis dafür zu bezahlen.“
4. Ellacuría ist ein wichtiger Vertreter der Theologie der Befreiung, in der Weltgeschichte und Heilsgeschichte in einer differenzierten Einheit verstanden werden. Von entscheidender Bedeutung sind dabei die Zeichen der Zeit: „Die ‚Zeichen der Zeit’ bestätigen auch diesen notwendigen Bezug zur Geschichte, wenn man die geschichtliche Gegenwart Gottes unter den Menschen entdecken will; die Wahrnehmung der Zeichen der Zeit ist eine der unverzichtbaren Vermittlungen, um die Neuheit der Heilsgeschichte zu verstehen und zu vollziehen.“
5. Im Zentrum der Theologie und der Spiritualität Ellacurías steht die Option für die Armen, die primär nicht sozial, sondern theologisch begründet ist: Gott offenbart sich nicht auf dieselbe Weise in jeder Situation, sondern er zeigt sich bevorzugt den Armen und ihn ihnen. So ereignet sich auch die Selbstmitteilung Gottes in einer bevorzugten Weise für und durch die Armen. Die Armen sind deshalb der am besten geeignete Ort, um Gott in der Geschichte zu begegnen. Sie sind das wichtigste Zeichen der Zeit.
6. Zentral in Ellacurías Christologie ist die sakramentale Gegenwart Jesu Christi in den Armen und in konsequenter Vertiefung die Identifikation zwischen den Armen, dem leidenden Gottesknecht und dem Gekreuzigten. Dies führt ihn zu einer Theologie der „gekreuzigten Völker“.
7. „So vertreten wir, dass die Kontemplation ... in der Aktion für die Gerechtigkeit die adäquate Praxis und Spiritualität desjenigen sein kann, der vereint und nicht trennt, was von sich her geeint ist: Glaube und Gerechtigkeit.“
Martin Maier SJ